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Wie das Mädchen Mirjam Himmelskönigin wurde Das Thema

Einige Formen der Marienverehrung erscheinen aus aufgeklärter Perspektive wenig modern, ja beinahe mittelalterlich. Wer kennt nicht die teilweise kitschigen Madonnendarstellungen und Votivtafeln? Selbst viele Christen – nicht nur protestantische, sondern auch katholische – glauben darin heidnische Elemente zu erblicken: Maria als Göttinnenersatz?

Stand: 20.01.2011 | Archiv

Maria mit dem Kind Skulptur | Bild: picture-alliance/dpa

Auf der anderen Seite gibt die traditionelle Marienverehrung vielen Menschen auch heute noch wichtige religiöse Impulse. Und neue Sichtweisen gewinnen aus der biblischen Maria befreiungstheologische und feministische Impulse. Die Evangelien berichten nicht viel von Maria, die meisten Angaben finden sich im ersten Kapitel des Lukasevangeliums. Hier wird sie als jung Verlobte geschildert, die vom Engel Gabriel die Ankündigung erhält, dass sie, die Begnadete, ohne vorher mit einem Mann zusammengekommen zu sein, einen Sohn erwarten würde, der der Messias werden wird.

Gesegnet mehr als alle anderen Frauen

Ihre demütige und vertrauensvolle Zustimmung in diesen Plan Gottes stellt die Grundlage für die spätere Marienverehrung dar. Dies deutet sich schon in Lk 1,42 an, wo ihre ebenfalls schwangere Verwandte Elisabeth – deren Kind Johannes der Täufer werden sollte – ausruft: "Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Gesegnet bist du mehr als alle andere Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes." Maria antwortet mit einem Lobesgesang, dem (nach dem lateinischen Anfangswort benannten) "Magnifikat": "Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an werden mich preisen alle Geschlechter." (Lk 1, 48) Weitere Erwähnung im Lukasevangelium findet Maria bei der "Darstellung Jesu im Tempel" (Lk 2,21 40; besonders 34f.), bei der Zurückweisung durch den zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,41–52) und in Lk 8,19-21, in der eine deutliche Distanz Jesu zu seiner Mutter und seiner Familie ausgedrückt wird. In Lk 11,27f. begegnet Jesus einer Seligpreisung seiner Mutter aufgrund deren physischer Mutterschaft, indem er die selig nennt, "die Gottes Wort hören und danach handeln." Aber dies trifft auch in besonderer Weise auf Maria zu.

Die vier Mariendogmen

In der Tradition der katholischen Kirche existieren vier offizielle Glaubenssätze über Maria, die vier Mariendogmen:

  • Die Gottesmutterschaft Mariens: Da Gott der Vater und Christus nach der Lehrdefinition des Konzils von Nicäa "eines Wesens" sind, wurde 431 auf dem Konzil von Ephesos die Gottesmutterschaft Mariens zum Dogma erklärt.
  • Die "immerwährende Jungfräulichkeit": 553, auf dem zweiten Konzil von Konstantinopel, wurde als Dogma definiert, dass Maria vor, während und nach der Geburt Jesu Christi immer jungfräulich blieb.
  • Die "unbefleckte Empfängnis": Dieses Dogma wurde 1854 von Papst Pius IX. verkündet und besagt, dass Maria vor und dann natürlich auch nach ihrer Geburt frei von der Erbsünde ist.
  • Die "leibliche Aufnahme Marien": Diese 1950 von Papst Pius XII. verbindlich aufgestellte Glaubenslehre besagt, dass Maria, die zeitlebens Sündenfreie, mit Leib und Seele in den Himmel aufstieg.

Ist das erste Dogma unter Christen jedweder Konfession noch einigermaßen konsensfähig, so bergen die restlichen Lehrsätze doch, außer– wie innerkatholisch, einiges Konfliktpotential. Für uns aber stellt sich zunächst die Frage, wie Maria, die in den Evangelien nur spärliche Erwähnung findet, eine solch herausgehobene Stellung in der römisch-katholischen Kirche und in den orthodoxen Kirchen erlangen konnte.

Johannesevangelium

Das Johannesevangelium ist das einzige, das Maria als Zeugin der Kreuzigung nennt. Hier geht Jesus mit dem Kreuzeswort "Siehe dein Sohn – siehe deine Mutter" (Joh 19,25 ff.) auch positiv auf Maria ein. Aber wenn man an die Hochzeit von Kana (2,1–12) denkt, wird auch bei Johannes eine Distanzierung Jesu von seiner Mutter deutlich. Im Markusevangelium, der ältesten kanonischen Evangelienschrift, wird in 3,31–35 sogar eine antifamiliäre Haltung Jesu erkennbar: "Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter." (Mk 3,33–35).

Die Familienhintergründe

Von einigem Interesse ist auch ein Blick auf die Familie Mariens und Jesu. In Mk 6,3 ist zu lesen: "Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jacobus, Joses, Judas und Simon." Dies ist einer von mehreren Versen, die von Brüdern und Schwestern Jesu berichten. Prekär ist dies besonders in Hinsicht auf das Dogma von der "immerwährenden Jungfräulichkeit". So hat man dann auch versucht, die Geschwister Jesu als Kinder aus der ersten Ehe Josephs oder als Vettern und Basen zu deuten. Historisch ist diese Frage sicherlich nicht abschließend zu klären. Dennoch gibt es auch katholische Gelehrte, die davon ausgehen, dass Jesus leibliche Geschwister hatte. Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI., schreibt in seiner "Einführung in das Christentum":

"Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre."

Papst Benedikt XVI. in seiner 'Einführung in das Christentum'

Erwähnenswert ist auch, dass der älteste Bruder Jacobus in der Jerusalemer Urgemeinde eine, später sogar die führende, Rolle einnahm. Auch Maria gehörte wohl zu dieser ersten Gemeinschaft der Christusnachfolge. Dass Familienmitglieder Jesu Mitglieder der Urgemeinde waren, relativiert die oben angeführte antifamiliäre Tendenz, von der eher anzunehmen ist, dass diese Texte Verkündigungsabsicht hatten und nicht historische Tatsachen wiedergeben wollten. Zumindest ist die Historizität dieser Aussagen nicht bestimmbar.

Matthäusevangelium

"Goldene Madonna", entstanden um 980

In dem in Mt 1,1 ff. angeführten Stammbaum Josephs werden, entgegen dem patriarchalischen Brauch nur Männernamen aufzulisten, auch Frauennamen erwähnt. Es sind (neben Maria) die aus der hebräischen Bibel bekannten Tamar, Rahab, Rut und Batseba, alles Frauen, die von ihrer Herkunft und aus sexualmoralischer Sicht als anrüchig erscheinen. Dadurch hat der Evangelist auf die doch etwas zwielichtig erscheinenden Umstände der unehelichen Geburt Jesu reagiert. Spätere Gerüchte machten Jesus zum Beispiel zu einem Kind, dass aus einer vorehelichen Beziehung Marias mit einem römischen Soldaten entstanden sei. Bis in unsere Tage existiert auch die Mutmaßung, dass Maria Opfer einer Vergewaltigung geworden sein könnte.

Maria auf dem Weg zur Himmelskönigin – Das Konzil von Nicäa

Wie oben angeführt, finden sich schon in den Evangelien, besonders bei Lukas, Keimzellen der späteren Marienverehrung. Die dogmatische Definition des Konzils von Nicäa im Jahre 325, dass Jesus Christus wesengleich mit Gott dem Vater sei, machte aber den Weg frei, Maria als Gottesmutter zu verehren. Denn wenn Christus Gott ist, dann ist Maria die Mutter Gottes. Von hieraus war dann der Weg zur Verkündigung des Dogmas im Jahre 553 auf dem Konzil von Konstantinopel nicht mehr weit.

Höhepunkt der Marienverehrung - Das Mittelalter

Im Mittelmeerraum und bei den Germanen nahm Maria bald den Platz ein, den zuvor die Göttinnen hatten. Die männlichen Göttervorstellungen der Germanen waren aber von Düsternis umgeben und waren angsteinflößend. Dies übertrug sich natürlich auch auf die männliche Gottesvorstellung des Christentums. Maria schuf hier weibliche Entlastung als die gnädige und immer hilfreiche Gottesmutter. Von diesem Ausgangspunkt aus entwickelte sich das Christentum des Mittelalter zu einer vor allen Dingen marianisch geprägten Religion. Dies hatte einen nicht zu verkennenden zivilisatorischen Effekt, da durch die Marienfrömmigkeit Werte wie Gnade und Vergebung an Stellenwert gewannen. So trug die Marienverehrung des Mittelalters mittelbar zu einer noch weiteren Verbreitung des christlichen Glaubens in Europa bei.

Die Entwicklung in der Neuzeit

Die Reformation brachte mit ihrer Einschränkung der Heiligenverehrung eine Abwehr der Marienverehrung mit sich. Noch stärker aber wirkten sich die Aufklärung und die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften in der Neuzeit aus. Das Weltbild in den westlichen Ländern wandelte sich zu einer mehr rational und naturwissenschaftlich geprägten Sicht der Dinge. Bemerkenswert ist aber, dass die Sehnsucht der Menschen trotzdem immer wieder in Berichten über Marienerscheinungen deutlich wird. Von den Tausenden Marienerscheinungen sind im Übrigen nur fünf von der katholischen Kirche anerkannt worden. Die Marienverehrung drückt neben manchem Befremdlichen noch immer eine Hoffnung aus. Sie steht auch dafür, dass die Entsakralisierung der Welt nicht das letzte Wort haben soll. Sie zeigt sich im Besonderen aber auch immer wieder als Widerstand gegen die totalitären Tendenzen von Faschismus, Kommunismus und auch Kapitalismus.

Marias revolutionäres Potenzial

So war die jüdische Mutter Maria ein bleibender Widerstand gegen alle nationalsozialistischen Tendenzen, die Jesus zum Arier erklären wollten. Auch große Teile der Widerstandsbewegung im kommunistischen Polen zogen ihre Kraft aus der Verehrung Mariens. Bei wichtigen Vertretern der südamerikanischen Theologie der Befreiung zeigt sich, dass Maria ein geradezu revolutionäres Potential in sich birgt. Dass Marienverehrung auch durchaus reaktionär sein kann, wie sich etwa im Spanien Francos zeigte, darf nicht verschwiegen werden. Dennoch lohnt es sich, dass Christen aller Konfessionen das Magnifikat erneut lesen und seine Bedeutung überdenken. Von dem Gott der Juden und der Christen, der schließlich auch der Gott der Muslime ist, wird dort nämlich gesagt:

"Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; Er stürzt die Mächtigen vom Thron Und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben Und lässt die Reichen leer ausgehen."

(Lk 1, 51–53)


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